Der Berechnungsingenieur im Innovationsprozess:
veränderte Aufgaben - neue Verantwortungen
 
Beat Schmied, Referat gehalten am 2. Schweizer CAD-FEM Users’ Meeting 1997 der ANSYS-Anwender
 
Time to market, simultaneous engineering u. ä. sind im Berufsalltag keine Schlagworte geblieben. Auch wenn vieles nicht nach Lehrbuch läuft, sind Schnelligkeit, Flexibilität und Sachkompetenz heutzutage entscheidende Erfolgsfaktoren. Für den Berechnungsingenieur haben diese Entwicklungen öfters stärkere Auswirkungen als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Auf einige Aspekte soll in diesem Kurzreferat stichwortartig eingegangen werden.

Fachkompetenz - die unabdingbare Basis des Erfolges
Wer bei einer Kundenanfrage oder einem Auftrag noch Grundlagen erarbeiten muss, steht heutzutage auf verlorenem Posten. Nur wer aus dem "Vollen" schöpfen kann, wenn‘s darauf ankommt, hat noch eine Chance, längerfristig zu bestehen. Der Auf- und Ausbau der sogenannten Kern- oder Fachkompetenzen ist aber nicht nur für Unternehmen das oberste Gebot, sondern ebenso für jeden einzelnen Mitarbeiter. Für den Berechnungsingenieur stellen sich dabei ganz besondere Forderungen:
- das fachliche Grundlagenwissen beherrschen
- die richtigen Arbeits- und Hilfsmittel besitzen
- diese Arbeits- und Hilfsmittel effizient nutzen
- Beziehungsnetzwerk aufbauen und pflegen
- massgebende Gesetze, Vorschriften, Normen kennen
- die globalen Entwicklungen im Fachgebiet (Werkstoffe, Leichtbau usw.) verfolgen.

Simultaneous Engineering - stellt hohe Anforderungen
Immer anspruchsvollere Produkte müssen in immer kürzeren Zeiträumen entwickelt werden. Die Erkenntnis, dass sich derartige Aufgaben nur mit interdisziplinärer Zusammenarbeit lösen lassen, ist unbestritten. Anspruchsvoll wird es jedoch, wenn - infolge des Termindrucks - voneinander abhängige Tätigkeiten immer häufiger parallel angegangen werden müssen. Dies stellt - nebst den organisatorischen und
infrastrukturellen Aspekten - hohe Anforderungen an alle Beteiligten. Konnte sich der Berechnungsingenieur in der Vergangenheit üblicherweise auf seine Rechnungen konzentrieren, kommt er nun nicht umhin, das Blickfeld zu erweitern. So wird er oft bereits in der Konzeptphase zum Berater für statische und dynamische Problemstellungen. Dabei muss er Ziele und Forderungen (Herstellkosten, Design usw.) der anderen Projektbeteiligten ebenso als Rahmenbedingungen akzeptieren wie beispielsweise den optimalen Kraftfluss. Für ihn stellen sich folgende Forderungen:
- Fachkompetenz besitzen (siehe oben) ist wiederum die Basis für den Erfolg
- interdisziplinär denken und handeln
- offen für Teamarbeit sein
- Verantwortung übernehmen
- betriebswirtschaftlich denken

Nicht die Rechenaufgabe, sondern das Problem sehen
Berechnungsingenieure unterliegen gerne der Versuchung, sich auf die gestellten Aufgaben zu stürzen und sie als sakrosankt zu akzeptieren. Aber Vorsicht ! Längst nicht immer ist die Aufgabenstellung korrekt formuliert. Häufig zielt sie auch an der eigentlichen Problemlösung vorbei. In der Hektik des Geschäftsalltages bleiben grundsätzliche Abklärungen und Überlegungen oft auf der Strecke und der hohe Zeitdruck wird immer wieder zum Vorwand genommen, die erstbeste Lösung zu wählen. Der verantwortungsbewusste Berechnungsingenieur ist deshalb nicht nur dafür besorgt, dass er richtig rechnet, sondern auch, dass er das Richtige rechnet:
- kritisches Hinterfragen der Vorgaben
- systematisches Vorgehen - vom Groben zum Detail - mit klarem Schwerpunkt in der Konzeptphase
- hartnäckig bleiben, wenn Fragen offen sind
- frühzeitig die Notbremse ziehen, wenn sich grundsätzliche Schwachstellen zeigen
- das Fachwissen und die Erfahrungen anderer Fachleute nutzen

Verantwortung und Risiko - das Dilemma
Für den Berechnungsingenieur gibt es nichts Schlimmeres, als wenn ein von ihm dimensioniertes Bauteil im praktischen Einsatz versagt. In der Realität steht er aber überhaupt nicht alleine da mit seiner Sorge. Bereits der Besteller einer neuen Anlage baut darum Leistungsreserven ein und genauso handeln alle anderen in der Prozesskette, die Werte und Eigenschaften garantieren müssen. Innovationen und konkurrenzfähige Produkte sind aber nicht mit Nullrisiko zu haben! Und da die offensichtlichen Reserven schon längst ausgeschöpft sind, werden Fragen wie "Kann die Wandstärke um 10% reduziert werden?" oder "Genügen nicht 12 statt 16 Schrauben?" immer heikler. Oftmals sind sie nicht mehr mit einem eindeutigen "Ja" beantwortbar. Das Risiko muss deshalb beurteilt und mit dem Nutzen in Relation gesetzt werden, was einige Anforderungen stellt:
- Fachkompetenz und Erfahrung bilden wieder die Basis
- seriös durchgeführte Konzeptphase mit gründlicher Klärung der Rahmenbedingungen / Anforderungen
- interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Offenlegen der verschiedenen Sicherheiten und Unsicherheiten
- ganzheitliche Risikoanalyse - Risikomanagement
- Einbezug von anderen Fachleuten, ev. Review durch diese
- vollständige Dokumentation, aber ohne Luxus
- ISO 9000 ff

 

Schmied Engineering GmbH, CH-4564 Obergerlafingen